Feministische 1. Mai Rede

Liebe Genossinnen und Genossen,

ein Jahr Pandemie. Ein Jahr was uns wieder einmal gezeigt hat, wie krisenanfällig das kapitalistische System ist. Ein Jahr mehr, in der die herrschende Klasse rechte Umtriebe zulässt und antifaschistische Arbeit erschwert und unterdrückt. Ein Jahr, das durch rassistische Polizeigewalt mehreren BIPOC das Leben gekostet hat. Ein Jahr, in dem Polen ein faktisches Abtreibungsverbot verhängt, die Türkei aus der Istanbul-Konvention austritt und Rechte von Trans-Personen weiter eingeschränkt werden. Ein Jahr in dem wir wieder einmal realisieren mussten, wie wichtig der intersektionale feministische Kampf ist und wie viel Hass ihm gleichzeitig entgegenschlägt. Während Coronaleugner*innen Hand in Hand mit Faschisten auf die Straße gehen, ohne Maske und Abstand, müssen FLINTA-Personen durch die Ausgangs-und Kontaktbeschränkungen den ganzen Tag an dem Ort ausharren, wo ihnen die meiste patriarchale Gewalt widerfährt: Zu Hause.

Die Pandemie trifft vor allem diejenigen hart, die in diesem System eh schon diskriminiert und benachteiligt werden. So auch FLINTA* Personen, die in sog. systemrelevanten Berufen in der Pflege dem höchsten Infektionsrisiko ausgesetzt sind und durch die hohe Arbeitsbelastung an ihre physischen und psychischen Grenzen kommen. Doch ein deutlich höheres Gehalt oder besondere Wertschätzung können Sie nicht erwarten. Nach der 40-Stunden Woche ist allerdings längst noch nicht alles erledigt. Zuhause wartet noch jede Menge Care-Arbeit, die für das Fortbestehen des kapitalistischen Systems unerlässlich ist. Auch heute wird diese Arbeit immer noch nach rassistischen, klassistischen und geschlechtlichen Merkmalen aufgeteilt. Zudem wird sie nicht bezahlt und ist für die Gesellschaft unsichtbar. Gerade heute, am 1. Mai, Kamptftag der Arbeiter*innen möchte ich auf diese Arbeit aufmerksam machen. Doch abseits der kapitalistischen Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und der Mehrarbeit im Haushalt müssen FLINTA-Personen auch im Alltag jede Menge patriarchale Unterdrückung und Gewalt erleiden. Ob Belästigungen, Catcalling, Femizide oder auch nur die Angst vor dem Heimweg am Abend, FLINTA-Personen müssen immer noch, Tag für Tag, für ihre Rechte und Sicherheit kämpfen. Seitens des Staates werden sie immer noch für reproduktive Selbstbestimmung in Form von Abtreibungen kriminalisiert und gesellschaftlich stecken sie immer noch in alten Rollenbildern fest, die sie entmachten und unterdrücken wollen.

Und das macht mich wütend. Als weiße cis-Frau habe ich allerdings Privilegien, die viele meiner Mitstreiter*innen nicht besitzen. Doch wir müssen weiterkämpfen, für eine gerechte und sichere Welt. Wir dürfen uns nicht von der Repression einschüchtern lassen, die uns entgegenschlägt. Wir müssen an unseren Werten festhalten und an einer Utopie, die ein lebenswerten Leben Aller abseits von Geschlechterdiskriminierung, Rassismus, Nationalismus, und Unterdrückung verspricht.

Patriarchalische und kapitalistische Strukturen gehören zusammen – und zusammen weg. Deswegen ist der Arbeiter*innenkampf immer auch ein feministischer.

Unsere Forderungen lauten: Ein sicheres Zuhause für alle Menschen, dass Femizide nicht als Eifersuchtsmord oder Beziehungsdrama verharmlost werden, die Care Revolution, grenzenlose Solidarität statt Konkurrenz, Gerechtigkeit in Produktion und Reproduktion und ein Abschaffen der Verhältnisse, die uns unterdrücken und ausbeuten.

Kein Arbeitskampf ohne Feminismus, kein Feminismus ohne Arbeitskampf.